Sehr geehrte Damen und Herren,
die Politik hat wieder einmal die Pandemie unterschätzt und nicht rechtzeitig und konsequent gehandelt. Natürlich brauchen wir, um diese Pandemie dauerhaft im Zaum zu halten, eine Impfpflicht für alle. Doch jetzt, wo das Kind im wahrsten Sinne des Wortes in den Brunnen gefallen ist, braucht es zusätzlich noch weiterer Maßnahmen, damit im Winter ein nicht noch größeres Sterben einsetzt.
2G, also der Zutritt nur für Geimpfte und Genesene in Kulturveranstaltungen, ist teilweise schon eingeführt und wird sich wohl bundesweit durchsetzen. Vieleicht brauchen wir sogar 2G+, also auch einen zusätzlichen Test, um nicht zu einem neuen Lockdown gezwungen zu sein.
Heute Morgen hat mich NDR Kultur gefragt, wie ich die Situation einschätze. Gerade für Menschen, die im Kulturbereich arbeiten und die schon seit zwei Jahren unter der Pandemie und den erschwerten Bedingungen leiden, ist die Grenze der Belastungsfähigkeit längst erreicht. Für sie wäre ein erneuter Lockdown „traumatisch“. Sowohl das ökonomische Überleben des Kulturbereichs ist bedroht als auch das künstlerische.
Das ganze Interview in NDR-Kultur können Sie hier nachhören.
Am Donnerstag findet im Deutschen Bundestag die zweite und dritte Lesung des Gesetzentwurfes zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze anlässlich der Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite (Drucksache 20/15) statt. Die Reform des Gesetzes hat mittelbare und unmittelbare Auswirkungen auf den Kulturbereich.
Bedingt durch die massiven o.g. Einschränkungen bei Kulturveranstaltungen wird sich die Lage im Kulturbereich weiter verschärfen. Veranstaltungen werden abgesagt oder verschoben, Vorhaben mit internationalen Künstlerinnen und Künstlern können nicht realisiert werden. Mit den verschiedenen Maßnahmen im Bereich der Künstlersozialversicherung, den Überbrückungshilfen des Bundeswirtschaftsministeriums, vereinfachten Vergabeverfahren und den BKM-Programmen NEUSTART KULTUR sowie Sonderfonds des Bundes für Kulturveranstaltungen wurde und wird auf die Situation reagiert.
Überbrückungshilfen
Einige der Maßnahmen laufen allerdings zum 31.12.2021 aus. Das gilt beispielsweise für die im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie verantworteten Überbrückungshilfen einschließlich der Neustarthilfe. Angesichts der aktuellen Situation fordern wir die Verlängerung dieser Hilfsprogramme.
Künstlersozialversicherung
Wir begrüßen, dass im „Gesetzentwurf zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze anlässlich der Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ vorgesehen ist, dass in der Künstlersozialversicherung Versicherte auch im Jahr 2022 das Mindesteinkommen unterschreiten können, ohne den Versicherungsschutz zu verlieren. Diese Maßnahme ist dringend erforderlich, da sich die Einnahmesituation vieler Versicherter noch nicht substanziell verbessert hat und, wenn man einen Blick auf die aktuelle Situation legt, auch kurzfristig nicht bessern wird.
Dringend nachgebessert werden muss in dem Gesetz, dass wie schon im Jahr 2021 in der Künstlersozialversicherung Versicherte ihren Kranken- und Pflegeversicherungsschutz auch im kommenden Jahr nicht verlieren, wenn sie mehr als 450 Euro/Monat aus nicht-künstlerischer selbständiger Tätigkeit verdienen. Die für dieses Jahr geltende Sonderregelung muss mindestens bis zum 31.12.2022 verlängert werden.
Sonderfonds für Kulturveranstaltungen
Auch sind im Sonderfonds für Kulturveranstaltungen bereits mehr als die Hälfte der geplanten Mittel von 2,5 Milliarden Euro durch Reservierungen belegt. Da jetzt eine Beantragungswelle wegen der 2G oder sogar 2G+ Regelungen bevorsteht, ist zu befürchten, dass die Mittel nicht ausreichen werden. Hier muss rechtzeitig nachgesteuert werden.
Die Coronapandemie macht keine Pause und richtet sich weder nach Bundestagswahlen noch nach Koalitionsverhandlungen. Es ist daher dringend erforderlich, dass die geschäftsführende Bundesregierung bestehende Hilfsmaßnahmen und Erleichterungen, die den Kulturbereich betreffen, jetzt verlängert und erweitert, damit keine Lücke in den Fördermaßnahmen entsteht.
Ebenso müssen die potenziellen Koalitionspartner (Ampel) jetzt Verantwortung übernehmen und sozialpolitische Weichen für das kommende Jahr stellen. Die Absicherung der soloselbständigen Kulturschaffenden über die Künstlersozialversicherung muss sich gerade in der Pandemie beweisen. Für die wahrscheinlich zukünftige Ampel-Regierung ist das am Donnerstag im Bundestag abschließend zu behandelnde Infektionsschutzgesetz ihre erste kulturpolitische Bewährungsprobe.
Mit freundlichen Grüßen
Olaf Zimmermann
Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates