Blog-Archiv des COUNCIL für KUNST und DESIGN

READ.ABLE.TIPP Matthias Horx

MÜSSEN wir nicht Angst haben? Noch VIEL MEHR ANGST vor der Zukunft?


Ich versuche dann, freundlich und ruhig zu antworten. Etwa, dass Angst etwas Gutes hat. Sie will uns ja wachmachen. Aber dass man Krisen nicht einfach „überwinden” kann, im Sinne von: es wird alles so wie früher. Krise kommt vom griechischen krísis – Entscheidung, Loslösung, Wendung. Man kann zum Beispiel auf Krisen reagieren, indem man…


Spätestens an dieser Stelle hat mich der Journalist längst unterbrochen. Das will er überhaupt nicht wissen. Er will ja lediglich die Bestätigung dafür, DASS WIR IMMER MEHR ANGST HABEN MÜSSEN!


Bei Hoffnung und Veränderung schalten die meisten ab.

So bleibt am Ende nur Helene Fischer oder Weltuntergang.

Beziehungsweise beides gleichzeitig.

Also, die pure Apokalypse.


Es gibt prinzipiell drei Möglichkeiten, mit Krisen umzugehen.


Die erste ist die Angststarre.


Wir starren plötzlich dauernd in Bildschirme, wühlen uns durchs Internet, immer auf der Suche nach Zeichen dafür, wie schlimm es schon geworden ist. Dieser Immerschlimmerismus versetzt uns in eine Art Trance, in der wir nur noch das Negative und Bedrohliche, das Unmögliche und Vergebliche wahrnehmen können. Unsere Weltsicht schnurrt sich auf einen engen Wahrnehmungstunnel zusammen. Das endet früher oder später in einer Depression.


Die zweite Strategie nenne ich den Untergangs-Komfort.


Oder den Apokalypse-Hochmut. Es ist eine Haltung, die die Welt verloren gibt, und daraus Kapital schlägt. Elisabeth Raether schreibt in der ZEIT:

„Für viele Leute ist, paradoxerweise, die Apokalypse ein gemachtes Bett…“


ZEIT: „Heikel Sonnenschein”, 18.8.2022


Um diesen rätselhaften Satz zu verstehen, müssen wir uns ein wenig mit Evolutions-Psychologie befassen. Unser Hirn ̶̶– besser: unser MIND – ist nicht so sehr an Wahrheit oder „Realität” interessiert. Um in der Evolution zu überleben, und um schnell auf Bedrohungen reagieren zu können, brauchten wir vor allem Stimmigkeit zwischen unseren inneren Modellen und den Repräsentationen der Wirklichkeit.

Wenn es in uns selbst düster aussieht, rücken apokalyptische Vorstellungen die Welt wieder ins Lot. Das Innen und das Außen passen wieder zusammen. Das erzeugt paradoxerweise ein Gefühl der Befriedigung. Der Überlegenheit. Wir versetzen uns in eine höhere Position, von der wir auf die verderbte, untergehende Welt hinabschauen können.

Ich habe es ja immer schon gewusst!

Menschen sind einfach dumm!

Wir sind zum Aussterben verdammt!

Wird auch Zeit!


Die gesamte Kolumne finden Sie hier.


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